Worum es im Fall geht
Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt haben einen wichtigen Etappensieg errungen: Ein Gerichtsurteil stellt die pauschale Anordnung zusätzlicher Unterrichtsstunden ohne angemessenen Ausgleich in Frage. Im Kern ging es darum, dass das Land die Unterrichtsverpflichtung erhöht hatte, um Lücken im System zu schließen – ohne zuvor transparent zu belegen, ob die Gesamtarbeitszeit der Lehrkräfte das hergibt. Geklagt hatten betroffene Lehrkräfte mit Unterstützung von Verbänden. Sie argumentierten, dass neben dem Unterrichten auch Korrekturen, Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und digitale Dokumentation längst an der Belastungsgrenze liegen.
Das Gericht folgte dieser Linie in zentralen Punkten: Eine Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung braucht eine nachvollziehbare Grundlage. Behörden müssen die tatsächliche Arbeitslast erfassen und ihre Fürsorgepflicht beachten. Eine bloße Verordnung reicht nicht, wenn sie die Gesamtarbeitszeit faktisch ausweitet. Formal gilt ein Urteil zunächst für die Klägerinnen und Kläger, es sendet aber ein klares Signal an das Land: Ohne solide Arbeitszeitanalyse ist eine Zusatzstunde kaum zu halten.
Der Streit berührt einen wunden Punkt der Bildungspolitik. Sachsen-Anhalt kämpft wie viele Länder mit einem Mangel an Lehrkräften, einer älter werdenden Belegschaft und steigenden Anforderungen im Schulalltag. In dieser Lage die Unterrichtsverpflichtung per Erlass anzuheben, sollte kurzfristig Stunden sichern – hat aber rechtlich Grenzen. Vergleichbares sah man schon anderswo: In Niedersachsen kassierte 2014 ein Oberverwaltungsgericht eine Erhöhung, weil die Belastung nicht ausreichend untersucht worden war. Die Botschaft ist seitdem gleich geblieben: Erst messen, dann entscheiden.
Folgen für Schulen, Land und andere Bundesländer
Was bedeutet das für den Alltag an Schulen? Die Stundenpläne laufen weiter, niemand wird von heute auf morgen aus dem Unterrichtsplan genommen. Aber das Urteil zwingt das Land, seine Regelungen zu prüfen. Ohne belastbare Daten zur Arbeitszeit ist eine pauschale Mehrverpflichtung riskant – auch rückwirkend. Im Raum stehen zwei Fragen: Müssen betroffene Lehrkräfte Ausgleich erhalten? Und wie sichert das Land Unterricht, wenn die Zusatzstunde wegfällt?
Juristisch hat die Landesregierung mehrere Optionen. Sie kann Rechtsmittel prüfen, eine überarbeitete Verordnung vorlegen oder beides parallel tun. Entscheidend wird sein, ob eine neue Regelung auf einer fundierten Arbeitszeitanalyse beruht, Unterschiede zwischen Schulformen beachtet und Ausgleichsmechanismen vorsieht – etwa Entlastungsstunden, Zeitkonten oder definierte Grenzen für Korrekturaufwand. Ohne diese Hausaufgaben droht die nächste Niederlage.
- Arbeitszeit erfassen: Realistische Daten zu Unterricht, Vor- und Nachbereitung, Korrekturen, Pausenaufsicht, Konferenzen, Digitalisierung.
- Ausgleich regeln: Klare Modelle für Entlastung durch Zeit oder strukturelle Unterstützung (z. B. Assistenz, weniger Zusatzaufgaben).
- Personal stabilisieren: Quereinstieg besser begleiten, Abordnungen planbar machen, Schulverwaltung entlasten.
- Transparenz schaffen: Schulen früh einbinden, damit Planungssicherheit für Stundenpläne entsteht.
Für Lehrkräfte ist das Urteil Rückenwind. Es bestätigt, dass Arbeitszeit mehr ist als die Anzahl der Unterrichtsstunden. Wer den Beruf attraktiver machen will, muss die verdeckte Arbeit sichtbar machen und begrenzen. Für Eltern bleibt die Sorge, ob Unterricht ausfällt. Hier liegt der Ball beim Land: Kurzfristig geht es um Planbarkeit, mittel- und langfristig um ausreichendes Personal – nicht um das Verschieben von Lasten.
Spannend wird, wie andere Länder reagieren. Einige haben ihre Arbeitszeitmodelle bereits überarbeitet, andere fahren noch mit pauschalen Vorgaben. Das Signal aus Sachsen-Anhalt lautet: Ohne solide Basis und Ausgleich sind Zusatzstunden kaum gerichtsfest. Für die Bildungspolitik ist das unbequem – aber ein Schritt hin zu ehrlicheren Debatten über Ressourcen, Prioritäten und die tatsächliche Arbeit an Schulen.